Lernen fürs Leben
Bick in einen Klassenraum im Schulmuseum von schwäbisch Gmünd. Foto: Manuela Brandenburger
Von Manuela Brandenburger
Gestern Tatzen und Frontalunterricht, heute Gruppenarbeit und Tablet – in der Schule hat sich in den vergangenen Jahrzehnten viel geändert. Zwei ABC-Schützen aus den Fünfzigern erinnern sich.
„Dann gab es Tatzen mit dem Meerrohrstecken“, antwortet Annerose Kälberer wie aus der Pistole geschossen auf die Frage, was passiert ist, wenn man sich in der Schule nicht an die Regeln gehalten hat. Die 72-Jährige erinnert sich noch gut an ihre Zeit in der Schlierbacher Grundschule, in die sie 1957 eingeschult wurde.
So ist es auch bei Helmut Kottmann aus Ottenbach, der seine schulische Laufbahn 1959 als Schüler an der Ottenbacher Grundschule begann und 2017 nach 32 Jahren als Schulleiter an derselbigen beschloss. Er erinnert sich gerne an seine Schulzeit und die enge Gemeinschaft in dem kleinen Dorf, die er erlebt hat. Die Klassen wurden jahrgangsgemischt und Erst- mit Zweitklässlern sowie Dritt- mit Viertklässlern unterrichtet. Für Kottmann waren die jährlichen Ausflüge echte Höhepunkte: „Einmal sind wir mit dem Zug nach Geislingen gefahren, das war eine Sensation.“ Auch besondere Filmvorführungen sind ihm in lebhafter Erinnerung. Dafür sei immer wieder am Samstagvormittag extra ein Filmvorführer in die Schule gekommen. Annerose Kälberer denkt auch mit Freude an die Schulausflüge zurück, bei denen zum Beispiel auf die Teck oder den Aichelberg gewandert wurde. Ausgestattet mit einem Vesperrucksack und ein bisschen Taschengeld für Getränke oder Süßes waren das unvergessliche Tage.
Annerose Kälberer erinnert sch noch lebhaft an ihre Schulzeit in Schlierbach
in den 50er und 60er Jahren.
„Wir hatten einen Lehrer aus Schlesien, der immer seinen Geburtstag angekündigt hat. Das hieß für uns, dass wir ihm Lebensmittel mitbringen mussten,“ erinnert sich die Schlierbacherin und erzählt weiter: „Wenn man nicht gespurt hat, gab es Tatzen mit dem Meerrohrstecken. Das tat richtig weh und die Hand war danach dick geschwollen! Die Jungs mussten sich mitunter über die Schulbank legen und bekamen Hiebe auf den Po“. Bei den Eltern über die Behandlung beschwert hat sich übrigens keiner. „Der Lehrer war eine absolute Respektsperson und zuhause hätte es womöglich ein zweites Mal Ärger gegeben“. Trotz der Strenge kam besagter Lehrer allerdings auch zum Unterrichten zu den Kindern nach Hause, die längere Zeit krank waren. Als in den 60ern immer mehr jüngere Lehrer an diew Schule kamen, ließen auch die körperlichen Bestrafungen nach. Und Musterschüler waren trotz dem gebotenen Respekt längst nicht alle. „Natürlich gab es auch Streiche“, lacht Kälberer und erinnert sich: „Die meisten Mädchen hatten lange Zöpfe und die Jungs haben sie ihnen heimlich in die Tintenfässer hinter ihnen getaucht“.
Kottmann besuchte nach der Grundschule die Mittelschule in Eislingen und danach das Wirtschaftsgymnasium in Göppingen, bevor er in Schwäbisch Gmund Lehramt studierte. „Die meisten Kinder besuchten die Volksschule bis zur achten Klasse, das war der übliche Weg. Für die weiterführende Schule musste man eine Aufnahmeprüfung ablegen“, erklärt Kottmann. Seine Laufbahn als Lehrer begann er 1975 an der Marktschule in Ebersbach. Vier Jahre später kam er als Lehrer an die Grundschule in Ottenbach, die er von 1985 bis 2017 als Rektor leitete.
Helmut Kottman in seiner Zeit als Schulleiter und als siebenjähriger
Schuljunge in Ottenbach.
Auch heute ist er noch als Vertretungslehrer im Einsatz und engagiert sich im Schulfußball. Nach wie vor ist er gerne in der Schule und liebt die Arbeit mit den Kindern. Der Pädagoge hat in seiner Berufslaufbahn viele Veränderungen erlebt und den Einfluss der gesellschaftlichen Strömungen gespürt. Die Umstellung der Lehrpläne in den 80ern hat er genauso mitgemacht wie die Erweiterung der Unterrichtsformen. „Der Frontalunterricht wurde unter anderem durch Gruppenarbeit ergänzt. Außerdem wird heute viel mehr Wert auf selbstständiges Lernen gelegt, und mit dem Einzug der neuen Medien gibt es ganz neue didaktische Möglichkeiten, aber auch pädagogische Herausforderungen“, erzählt Kottmann. Er hat beobachtet, dass die Digitalisierung und mit ihr die Schnelllebigkeit und Informationsflut zu einer Reizüberflutung der Menschen führen. „Das betrifft natürlich auch viele Kinder, die nicht mehr so belastbar sind, sich schlechter konzentrieren können und ständig unter Strom stehen.“
Verteufeln will Kottmann die neuen Medien jedoch keinesfalls: „Sie bringen viele Vorteile, aber es braucht eine durchdachte Medienerziehung, damit Kinder den bewussten Umgang mit Computer und Smartphone lernen“. Wichtig für die kommenden Generationen findet er zudem, dass wieder mehr Werte vermittelt werden und man nicht nur das eigene Ego in den Vordergrund stellt
Und Annerose Kälberer? Sie hat nach der Volksschule eine kaufmännische Lehre bei der Strumpffabrik Auwärter in Schlierbach gemacht. Damit war sie eine Ausnahme, da die meisten Schulabgänger direkt anfingen zu arbeiten. „Wir sollten früh Geld verdienen. Als Lehrling bekam man nur wenig gezahlt, bei mir waren es 75 Mark im ersten Lehrjahr.“ Schule und Lernen hatten nicht den Stellenwert wie heute und viele Kinder mussten schon neben der Schule in der Landwirtschaft mitarbeiten. Wenn viel zu tun war, sind Kinder tageweise nicht in die Schule gegangen. Bei den Mädchen hielt man eine Ausbildung auch für unnötig, da sie ohnehin heiraten würden“, resümiert Kälberer, die froh ist, dass sich diesbezüglich die Zeiten gewandelt haben.
TIPP
Ab ins Schulmuseum
Der Förderverein Gmünder Schulmuseum hat einen großen Schatz an historischen Schulutensilien zusammengetragen. Neben vielen Anschauungsstücken bietet das abwechslungsreiche Museum ausführliche Informationen über die frühere und heutige Schulzeit.
Das Museum am Münsterplatz 15 hat immer am letzten Samstag und Sonntag im Monat von 13 bis 17 Uhr oder nach Absprache geöffnet.